Für die Unabhängigkeit

Das landete vor kurzem als Leserzuschrift an den Kölner Stadt-Anzeiger in meinem Postfach.

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich den Artikel “Tabuthema Endometriose” vom 26.09.2017 für ziemlich problematisch halte. Der Grund ist, dass dieser angeblich redaktionelle Artikel im Prinzip die wochenlange Anzeige zum Thema ersetzt. Auch weil diese Anzeige just in diesen Tagen nicht mehr online ist, habe ich Zweifel daran, dass es sich hierbei um einen Zufall handelt. Zudem weist für mich auch die ausgeschaltete Kommentarfunktion darauf hin, dass hier kritische Kommentare nicht erwünscht sind. Eine Zeitung, die viel Aufwand betreibt um ihre eigene Glaubwürdigkeit zu bekräftigen, dürfte hier mehr Fingerspitzengefühl zeigen.

Mit freundlichem Gruß,

XXXX


Der Leser wundert sich über meinen Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger. Ich schrieb über die chronische Krankheit Endometriose. Auf der Webseite der Zeitung erschien der Text kurz nach oder eine Zeitlang gleichzeitig mit einer Anzeige zum gleichen Thema, bezahlt vom Betreiber eines Krankenhauses, das in meinem Text vorkommt. Zufall?, fragte der Leser völlig zurecht. Beim Schreiben der Antwort auf seinen Einwand ist mir klar geworden, dass Leser und Journalisten im gleichen Boot sitzen. Es ist im beiderseitigen Interesse, die Grenzen in den Verlagen zwischen Anzeigenabteilungen und Redaktionen zu verteidigen. Der offene Dialog über die Arbeitsbedingungen von uns Journalisten ist – nicht nur in diesem Kampf – das Mittel der Wahl. Ganz sicher. Und wir Freien haben dazu am meisten zu sagen. Ohne unsere Perspektive können sich die Verlage auch Werbekampagnen schenken, die mit Transparenz und Glaubwürdigkeit als Verkaufsargumente punkten wollen.

Hier meine Antwort und die Reaktion meines Lesers (Ich habe ihn ins Herz geschlossen) in voller Länge.

Hallo Herr XXXXX,

Ihre Kritik ist bei mir gelandet. Ich bin der Autor des journalistischen Textes über Endometriose, schreibe seit 2011 für den Kölner Stadt-Anzeiger, insbesondere für die Stadtteile-Seiten im Kölner Süden. Ich bin freier Mitarbeiter und einer von zwei Tagespauschalisten, die der Süd-Ausgabe (immer dienstags und donnerstags) fest zugeordnet sind. Ich bin derzeit etwa zwei Tage in der Woche für die Zeitung im Einsatz und erhalte eine (branchenüblich der Arbeit kaum angemessene) Pauschale für jeden dieser Tage. Damit bestreite ich mein Haupteinkommen. Auftraggeber aus dem PR-Bereich habe ich in Köln nicht. Eine gemeinnützige, bundesweite Stiftung beauftragt mich sporadisch (zwei Mal bislang) mit der Erstellung von allgemeinen Texten. Meine journalistischen Themen suche ich mir selber. In der Redaktion des Stadt-Anzeigers bin ich selten. Meistens telefoniere ich mit den fest angestellten Redakteuren ein paar Tage vor Erscheinen der Ausgabe und kündige Texte an.

Ich erläutere das, damit Sie ein genaues Bild davon haben, wie der Artikel, dessen Nähe zu einer Anzeige auf der Webseite der Zeitung Sie kritisiert haben, entstanden ist.

Ich habe wohl die Anzeige auf der Webseite bemerkt, sie aber ignoriert. Paradoxerweise ist das in meinen Augen Ausdruck meiner Unabhängigkeit von der Anzeigenabteilung im Verlag. Nie in den Jahren, die ich für die Zeitung schreibe, habe ich Kontakt mit Mitarbeitern der Abteilung gehabt und auch in diesem Fall lag mir eine Koordination mit ihnen fern. Trotzdem haben Sie aber recht: Der Eindruck, dass die Interessen des Anzeigenkunden eine Rolle gespielt haben, liegt nahe. Ich hätte die Entstehung des Artikels in der Online-Version erläutern sollen. Vielleicht hätte er online auch nicht erscheinen sollen.

Das Thema habe ich ausgewählt, alleine weil ich es für meine Leser interessant fand. Die hohe Zahl der Betroffenen hat mich überrascht. Die Schilderung der Patientin hat mich berührt, was der entscheidende Grund für den Text war. Mit der Mitarbeiterin des “Klösterchens”, die für Presseanfragen zuständig ist, stehe ich in regelmäßigem Kontakt. Das Krankenhaus ist für die Südstadt und unsere (leider überwiegend) älteren Leser von großem Interesse. Die Anregungen aus der Presseabteilung nehme ich gerne auf, sofern ich sie für interessant halte. Die Mitteilungen von Rheinenergie, KVB, Netcologne, von Händlern einer Einkaufsstraße und anderen kommerziellen, öffentlich-rechtlichen, privaten, sozialen oder städtischen Akteuren sind oft Ausgangspunkt von Recherchen. Dass diese kritisch und objektiv einordnend erfolgen, gehört zum professionellen Selbstverständnis von uns Journalisten und wird in den Redaktionen geprüft. Sicher habe ich dafür nicht unbegrenzt Zeit (und die wird tatsächlich immer weniger). Aber ich tue, was ich kann.

In meinem Artikel waren andere Endometriose-Zentren in Köln erwähnt. (Mit einer niedergelassenen Ärztin im Kölner Süden hatte ich telefoniert, sie zur Rolle des Krankenhauses befragt.) Mit einer Patientenvertreterin in Leipzig, die am Zertifizierungsprozess für solche Zentren beteiligt ist, habe ich lange gesprochen und nach Missständen gefragt. (Das Interview stand aus Platzgründen leider nicht in der Zeitung.) Sie schätzt, dass sich die Ärzte endlich fortbilden für die Behandlung der chronischen Krankheit. Erst nicht verstanden hatte ich einen Passus in diesem Prozess, der eine Mindestzahl von Operationen vorschreibt. Ich habe mich gefragt, ob da nicht der falsche Anreiz gesetzt wird. Der von mir zitierte Chefarzt im Klösterchen hat erklärt, dass sie diese Zahl schon vor der Zertifizierung ohnehin locker überschritten haben, und die langen Vorgespräche mit Patientinnen angeführt, die sie an der Entscheidung, eine OP durchzuführen, beteiligen sollen. Er hat eingeräumt, dass das Krankenhaus erst an der stationären Behandlung verdient. Das steht im Text. Ich hatte dennoch nach meinen Recherchen keine Hinweise darauf, dass mehr Frauen wegen Endometriose operiert werden als nötig.

Zu keinem Zeitpunkt hat die Tatsache, dass das Krankenhaus eine Anzeige auf der Webseite ksta.de bezahlt hat, eine Rolle gespielt in meinem Kopf.

Schauen Sie, im Journalismus läuft vieles verkehrt. Fest angestellte werden durch freie Journalisten ersetzt, freie Stellen immer seltener, die Zeit für Recherchen knapper. Gleichzeitig halten Verlage, die immer öfter von rein profitorientierten Managern geführt werden, an Rendite-Vorstellungen fest, die aus der Zeit stammen, als Zeitungen und Magazine Gelddruckmaschinen waren mit Erlösquoten, von denen etwa Autohersteller nur träumen konnten. Längst sind die Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft weggebrochen und können im Netz kaum kompenisert werden. Neue Geschäftsmodelle sind noch lange nicht in Sicht, die großen Verlage unfähig oder unwillig zur Innovation. Ihre Nachrichtenwebseiten kämpfen derweil verbissen um jeden Klick, um die Aufmerksamkeit der Nutzer an Werbekunden verkaufen zu können, und bombardieren die Leser mit Polizeimeldungen, Unfallbildern und -videos, mit tragischen Einzelfällen, die für keinerlei größere Zusammenhänge stehen, und streichen im eigenen Haus in massiven Sparrunden Stellen zusammen. Die Folge: Hintergründe werden immer seltener erschöpfend erläutert, Zusammenhänge immer seltener ausgeruht dargestellt (wenngleich es Kollegen bei der Zeitung gibt, die das mühelos und analytisch brilliant selbst in kürzester Zeit hinbekommen). Das ist die inhaltliche Seite und das halte ich für ein massives Problem.

Auch gibt es, das will ich nicht verhehlen, besonders im Lokalteil die berühmte Rücksicht auf den Anzeigenkunden (neben der in meinen Augen problematischeren Nähe der Journalisten zur Politik). Die äußert sich im redaktionellen Bericht über ein Fest im Einkaufszentrum, dem Vermelden einer Eröffnung, das Foto einer Scheck-Übergabe, der schlechten Platzierung von kritischen Stimmen, die das Gebaren eines Anzeigenkunden betreffen. Ich lehne so etwas grundsätzlich ab, doch das gibt es. Ich halte die negativen Effekte daraus aber für (noch) beherrschbar, darunter insbesondere die Gefahr, dass Kritisches, Missstände, Probleme den Anzeigenkunden zuliebe unterdrückt werden. In Köln gibt es zwei große voneinander unabhängige Zeitungsredaktionen, konkurrierende Online-Medien, öffentlich-rechtliches Fernsehen mit Lokalnachrichten, Stadtmagazine und zahllose Journalisten. Jeder davon dürstet nach der Aufmerksamkeit, die mit dem Aufdecken von Missständen verbunden ist. Und mit ihnen nicht zuletzt die Anzeigenabteilungen, die auf die Klickzahlen solcher Geschichten schielen. (Ein Beispiel ist etwa die Recherche des Kollegen Peter Berger zum Verhalten der katholischen Krankenhäuser gegenüber Vergewaltigungsopfern, die die “Pille danach” wollten.) Sehr stolz bin ich auf meine Recherche zu Zahlungen der Pharmakonzerne an Ärzte der Uniklinik, die ich in der Stadtrevue veröffentlicht habe. Wo es wichtig ist, gilt der Anzeigenkunde nichts, da bin ich sicher. Der Drang nach großer Reichweite und journalistisches Ethos sorgen dafür.

Ich freue mich, und das zeigt Ihnen meine ausführliche Antwort, dass Sie die journalistische Unabhängigkeit so hoch schätzen. Und Sie ist in Gefahr, keine Frage. Gleichzeitig bitte ich Sie zu bedenken: Wir Journalisten stehen auf der Seite derer, die sie beschützen wollen, ja müssen. Dafür kämpfen wir jeden Tag. Sie helfen uns, wenn Sie differenzieren, nachfragen und genau lesen. Und ich danke Ihnen, dass sie das getan haben.

Sollte ich Sie zu einer Erwiderung angeregt haben – immer her damit.

Mit freundlichen Grüßen,
Philipp Haaser

Hallo Herr Haaser,

ich danke Ihnen für ihre umfassende und wertschätzende Antwort! Es ist sicherlich keine Selbstverständlichkeit, dass sie sich diese Mühe machen.

Es freut mich zu hören, dass Anzeige und Artikel in keinem finanziellen Zusammenhang zu einander stehen. Denn ich gebe Ihnen Recht: Das Thema Endometriose ist wichtig. Die Aufklärung darüber kann vielen Frauen tatsächlich helfen. Insofern begrüße ich es ausdrücklich, das sie sich dem Thema angenommen haben.

Adressat meiner Kritik sind damit auch weniger sie als Verfasser des Artikels. Adressat wäre eher der Mensch, der die Themen und Artikel auswählt. Diesem Menschen wäre hier etwas mehr Fingerspitzengefühl zu wünschen gewesen. Aber auch hier finde ich: Wenn sowas mal aus Unaufmerksamkeit passiert, dann ist das ja kein Drama. Kann passieren. Bedenklich wäre es nur, wenn die Ursache ein Scheck vom Klösterchen gewesen wäre.

Ich danke Ihnen auch für ihre kritische Einschätzung zum Zustand des Journalismus im Allgemeinen und wie sich dieser auf ihre konkrete Situation als Pauschalist auswirkt. Diese Form von selbstkritischer Transparenz ist für mich sehr erhellend. Und darüber hinaus scheint sie mir auch generell ein guter Umgang mit dem Einfluss von Geldgebern oder anderen Akteuren.

Ihren Artikel über die Uniklinik habe ich damals auch gelesesen. Vielleicht hat er mich sogar mit dafür sensibilisiert, kritisch auf mögliche Geldgeber zu achten.
Herr Haaser, ich wünsche Ihnen, dass sie sich ihre kritische Art bewahren können. Dazu gehört auch, dass Sie (und andere Journalist_innen) sich das leisten können. Insofern wünsche ich auch den Kolleg_innen, die sich derzeit im Tarifstreit mit DuMont befinden viel Erfolg.

Schöne Grüße,

XXX

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