Schon immer kamen auch Kinder und Jugendliche aus den Flüchtlingsunterkünften der Südstadt. So viele wie im Moment waren es aber noch nie
Erschienen im Kölner Stadt-Anzeiger
Sport und Rap-Musik, Surfen im Internet, Tischfußball, Zocken an der Spielkonsole, Hausaufgabenhilfe und Berufsberatung Tür an Tür – turbulent waren die Nachmittage im engen, zweistöckigen Haus an der Elsaßstraße in der Südstadt schon immer. Seit aber wieder mehr Flüchtlinge in Köln ankommen, sehen sich die Mitarbeiter des Jugendzentrums neuen Herausforderungen gegenüber.
„Seit einem Jahr etwa hat ihr Anteil an unseren Besuchern deutlich zugenommen“, sagt der Leiter, Diplom-Sportlehrer Markus Heuel. Seit 20 Jahren arbeitet er in der Einrichtung der Caritas. Schon immer kamen auch Kinder und Jugendliche aus den Flüchtlingsunterkünften der Südstadt. So viele wie im Moment waren es aber seiner Erinnerung nach noch nie. Wie viele Jugendzentren in der Stadt ist die GOT („Ganz Offene Tür“) Elsaßstraße für Kinder aus Flüchtlingsfamilien eine der ersten Anlaufstellen in der Nachbarschaft. Zwischen 20 und 30 Jugendliche aus den Heimen in der Vorgebirgstraße und am Severinswall kommen laut Heuel inzwischen regelmäßig, die meisten aus den Balkan-Ländern, vor allem Roma. „Unser Anliegen ist, die neuen Besucher zu integrieren“, sagt er. „Warum lässt du die rein“, fragen ihn dagegen die Stammbesucher, Kinder aus italienischen, türkischen und deutschen Familien. Manche kommen nicht mehr. „Zigeunerhütte“ nennen sie das Jugendzentrum. „Sie haben das Gefühl, das ist nicht mehr ihr Haus“, versucht Heuel zu erklären. Es gibt auch Nachbarn, die nicht mehr grüßen. Beleidigungen, Vorurteile, Misstrauen, fehlendes gegenseitiges Verständnis, Frust und Wut: „Manchmal kommen wir an unsere Grenzen“, sagt er.
In anderen Jugendzentren kennt man die Probleme. „Dort, wo Flüchtlingsunterkünfte in der Nähe sind, hätten wir viel mehr Unterstützung gebraucht“, sagt Marianne Bischoff. Sie arbeitet beim gemeinnützigen Träger Jugz, der 21 Jugendzentren in der Stadt betreibt. Die „heiße Phase“ habe ein Jahr gedauert, sei aber vorüber, so Bischoff. Jetzt wollen Politiker und Verwaltung reagieren. 825 000 Euro sollen den 71 Jugendzentren in der Stadt jedes Jahr zusätzlich zur Verfügung gestellt, befristete Angebote für die Integration von Flüchtlingen so finanziert werden. Das sieht ein Vorschlag des Jugendamts vor, der den politischen Gremien im Herbst vorliegt. Die ersten Projekte könnten noch in diesem Jahr gefördert werden. Das Jugendzentrum in der Elsaßstraße bekommt von der Kirche seit Anfang des Jahres mehr Geld. Das Erzbistum hat als Träger vieler Einrichtungen in Köln und Umgebung insgesamt bereits zwei Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Für die Mitarbeiter bedeutet das ein wenig Entlastung. Sie haben zusätzliches Personal angeheuert, etwa den Sportwissenschaftler Thomas Schaper. Um das „effektive Überwinden von Hindernissen“ geht es bei seinem Kurs. Ausdauer, Gleichgewicht, Präzision und die Fähigkeit, „sich selbst einschätzen zu können“, will Schaper mit seinem Training fördern. Mitbringen müssen die Kinder dafür nichts. Mit Bänken, Matten und einem Klettergerüst üben sie im Jugendzentrum mehrmals in der Woche die Techniken. Anschließend suchen sie sich Hindernisse in der Südstadt. Ab und zu muss Schaper Streitereien zwischen alten und neuen Besuchern schlichten.
Seit Februar arbeitet ein Deeskalationstrainer in der Elsaßstraße, ebenfalls finanziert mit den Zuschüssen. „Körperliche Auseinandersetzungen kommen vor, aber vereinzelt. Meistens wird nur geschubst“, sagt Jonas Bücker. Zu tun hat er dennoch genug. Sein Ziel: Vertrauen schaffen. Die Jugendlichen sollen lernen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen, im Notfall die Erwachsenen einbeziehen. „Mittlerweile haben sich die Beziehungen normalisiert“, sagt er. Einfach war das offenbar nicht. Viele der jugendlichen Flüchtlinge haben Gewalt erlebt. Das ist für die anderen nicht offensichtlich. „Auf den ersten Blick wirkt die Gruppe laut und unverschämt“, sagt Bücker. Ihnen fehle nicht zuletzt die nötige Sprachkenntnis, um sich mit Worten zu behaupten. Mit den Sozialarbeitern in ihren Unterkünften tauschen sich die Mitarbeiter im Jugendzentrum regelmäßig aus. Bücker hat sich auch selbst ein Bild gemacht: „Ich habe noch nie eine so destruktive Umgebung gesehen“, sagt er.
Fehlende Perspektiven, mangelndes Selbstvertrauen, Armut, Angst vor Abschiebung und Kriminalität gehören zum Alltag der Kinder. Gerade deshalb sei das Jugendzentrum für sie ein unersetzbarer Ort. „Hier dürfen sie Kinder sein, auch mal nerven, laut sein, Grenzen austesten“, sagt er. Mehr noch: Es gibt Momente, in denen die Flüchtlinge Vertraute finden, wenn sie von ihren Ängsten, von den traumatischen Erlebnissen auf der Flucht oder vom Verlust von Verwandten und Freunden erzählen – und die anderen einfach zuhören. Miteinander reden, um Verständnis werben und Regeln durchsetzen – langsam, aber sicher beruhigt sich der Alltag in der Elsaßstraße. So sehr sich Einrichtungsleiter Heuel freut über die Fortschritte – eine langfristige Perspektive fehlt: „Ohne die Förderung könnten wir das nicht leisten.“ Bis Ende des Jahres noch reicht das Geld für die zusätzlichen Honorarkräfte.
„Warum lässt du die rein?“
Ein Stammbesucher